Ein honoriger Austausch ist in der Demokratie zumutbar

Der Beitrag von Anna Herrhausen im Überblick

Diskussionskultur
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Missstände, Verdruss und Technologie – daraus ergibt sich so mancher Kommentar in den Sozialen Netzwerken, der mit einer sachlichen Auseinandersetzung wenig gemein hat. Das stellt Anna Herrhausen, Leiterin der Alfred Herrhausen Gesellschaft, in ihrem Essay „Was verlangt die Demokratie von uns?“ fest und erinnert hier an die Bemerkung ihres Vaters, dass Demokratie von einer „honorigen“ Form der Auseinandersetzung lebt.

Im Internet bilden sich neue Resonanzräume, in denen das Negative überbetont und der vermeintliche Befreiungsschlag durch Radikalisierung begünstigt wird.

„Honorig“, das meint „anständig“, überträgt Anna Herrhausen dieses Wort aus den 1980er-Jahren ins Jahr 2019. Ein Jahr, in dem sich viele Menschen abgehängt fühlen und Angst vor der Zukunft haben, konstatiert die Politologin. Diese Angst entlädt sich in den Sozialen Netzwerken in Form von negativen Kommentaren. Der Ton ist rau, das Internet ein Verstärker der eigenen Meinung. Eine Entwicklung, die Populisten in die Hände spielt, welche die Ängste und den Frust der Wählerinnen und Wähler für ihre Zwecke nutzen, beobachtet Anna Herrhausen – und sieht in diesem Zusammenhang gleich ein zweites Phänomen als Herausforderung: die Schere im Kopf bei gemäßigten Kräften. ‚Halte ich dagegen? Oder lasse ich es lieber sein, um der Flut an negativen Kommentaren auszuweichen?’ Und drittens machen sich sogar gemäßigte Politiker populistische Parolen zu eigen. „Das Fatale an dieser Strategie ist es, dass sie zwar vermeintlich im Sinne der Demokratie verfolgt wird, in Wahrheit diese jedoch unterhöhlt, da sie anti-demokratischen Kräften Wasser unter den Kiel gibt.“

Hinzu kommt, dass es die Demokratie als Staatsform dem Individuum schwer macht: Im Gegensatz zum Nationalismus oder Kommunismus bietet sie keine Ideologie, in der jede/r aufgehen kann. Das Individuum wird bei der Suche nach dem Sinn letztlich auf sich selbst zurückgeworfen. „Das ist der Preis der Freiheit“, sagt Anna Herrhausen – und gleichzeitig ihr Wert! Das sei eine Wahrheit, die dem Menschen zumutbar sei, sagt sie und zitiert damit, wie auch schon ihr Vater, die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.

Das Zitat steht heute auf den Stehlen, die den Ort des Attentats auf Alfred Herrhausen markieren. Für seine Tochter steht es als Lebensmaxime ihres Vaters: Den Mut, sich zu trauen, die Wahrheit offen auszusprechen, Probleme offen zu benennen – und so zu lösen.

Wie wir auch 2019 diese Freiheit erhalten, die Meinungs- und Redefreiheit verteidigen und zu einer honorigen Auseinandersetzung online, wie offline zurückkehren können – das erläutert sie in ihrem Beitrag für das Buch Weiter. Denken. Ordnen. Gestalten, das im September beim Siedler Verlag erschienen ist.

 

Anna Herrhausen

Anna Herrhausen ist eine deutsche Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Alfred Herrhausen Gesellschaft in Berlin. Sie ist die Tochter von Alfred Herrhausen.

Anna Herrhausen