Der Beitrag von Heinrich August Winkler im Überblick

Die EU steht vor drei großen Herausforderungen

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Der Historiker Heinrich August Winkler benennt in seinem Aufsatz drei Krisen der Europäischen Union und stellt mögliche Lösungen vor. Neben der Währungskrise, die 2008 aus der finanziellen Schieflage Griechenlands heraus entstanden ist, sieht der Geschichtsforscher auch eine Krise der Werte und eine Legitimationskrise in der EU. In seinen „Gedanken über eine gefährdete Wertegemeinschaft“ beschreibt er vor allem Lösungswege für eine starke Wertegemeinschaft auf dem europäischen Kontinent.

Die eigentliche Krise des Euros brodelt derzeit in Italien, wo sich der große Konstruktionsfehler der Währungsunion offenbart.

Die Krise des Euros ist keineswegs bloß durch die Rettung Griechenlands vom Tisch. Die eigentliche Krise des Euros brodelt derzeit in Italien, wo sich der große Konstruktionsfehler der Währungsunion aus Sicht von Heinrich August Winkler offenbart: der Zusammenschluss von Hart- und Weichwährungsländern. „Das heißt von Staaten mit höchst unterschiedlichen Haushaltskulturen zu einer Währungsunion.“

Auf der einen Seite die mediterranen Länder, die eine gelegentliche Abwertung des Euros zur Beflügelung ihrer Volkswirtschaften gut gebrauchen könnten – auf der anderen Länder wie Deutschland, denen vielmehr eine stabile Währung nützt. Hinzu kommt zweitens, dass es zwar eine gemeinsame Währung gibt – nicht aber eine übergeordnete einheitliche Finanzpolitik. Somit sieht der Historiker die Trennung der Finanz-Union von der politischen Union aus heutiger Sicht als Fehler.

Die zweite Krise der EU identifiziert Heinrich August Winkler in einer Krise der Werte: also der Menschen- und Bürgerrechte, der geschaffenen Institutionen zur Volksvertretung und der unverrückbaren Gewaltenteilung. Osteuropäische Staaten wie zuerst Ungarn, dann Polen und in jüngster Zeit Rumänien stellen die Werte der EU immer unverhohlener in Frage. Ungarn hat 2010 mit ihrem Nationalkonservativen Regierungschef Viktor Orbán den Anfang gemacht, Polen folgte 2015 mit der Gleichschaltung des Verfassungsgerichts und Rumänien entzieht korruptionsverdächtige Funktionäre der Regierungsparteien derzeit der Strafverfolgung, kritisiert Winkler.

„Solange die Europäische Union in ‚liberale‘ und ‚illiberale Demokratien‘ gespalten ist, kann sie nicht mehr beanspruchen, eine Wertegemeinschaft zu sein“, stellt er fest.

Die dritte Krise der Europäischen Union sieht Heinrich August Winkler in der Legitimationskrise. Das demokratische Fundament dieser Europäischen Union war von Beginn an wackelig: den Institutionen in Brüssel fehlt es an direkter Legitimation. Sie wurden von Politikern besetzt und (mit Ausnahme des EU-Parlaments) nicht direkt von der Bevölkerung gewählt.

Wie sich diese drei Krisen lösen lassen, erklärt Winkler in seinem Beitrag zum Buch Weiter. Denken. Ordnen. Gestalten“, das im September beim Siedler Verlag erschienen ist.

Heinrich August Winkler ist emeritierter Professor für Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Bücher des Historikers über die Weimarer Republik und die Geschichte des Westens gelten als Standardwerke.

Heinrich August Winkler